Architekturfotografie ist eine Mischung aus Kunst und Technik, die die Schönheit von Bauwerken einfängt und gleichzeitig deren tieferes Wesen vermittelt. Dieses Genre geht über die bloße Dokumentation von Gebäuden und Räumen hinaus. Es versucht, Geschichten zu erzählen und die Atmosphäre verschiedener Orte und Kontexte zu vermitteln.
Schlüsselelemente wie Licht, Winkel und Komposition verwandeln einfache Strukturen in fesselnde visuelle Erzählungen. Die architektonischen Bilder reichen von weitläufigen Panoramen, die die Gebäude in die Landschaft einbetten, bis hin zu intimen Nahaufnahmen, welche die Feinheiten von Baumaterialien und Oberflächen zeigen.
Meister der vielen Künste
Oft haben die herausragenden Persönlichkeiten der Architekturfotografie selbst einen architektonischen Hintergrund und verfügen über ein tiefes Verständnis der architektonischen Sprache, das ihre erzählerischen Fähigkeiten bereichert. Es gibt jedoch auch einige bemerkenswerte Fotografen, die sich ohne dieses Spezialwissen hervorgetan haben. In dieser Auswahl werden fünf herausragende Fotografen vorgestellt, die sich in Bezug auf die historische Epoche, die geografische Herkunft und den stilistischen Ansatz stark unterscheiden und so die große Bandbreite und den Reiz der Architekturfotografie veranschaulichen:
1. Der Fotograf der amerikanischen modernen Bewegung: Julius Shulman
Der 1910 in Brooklyn geborene und in Kalifornien aufgewachsene Julius Shulman wird als einer der bedeutendsten Architekturfotografen der Geschichte gefeiert. Seine Karriere wurde durch die Anerkennung von Richard Neutra, einem österreichisch-amerikanischen Architekten, vorangetrieben, der in Shulman Potenzial sah und ihn mit der Fotografie seiner Entwürfe betraute.
Shulmans unverwechselbare Schwarz-Weiß-Bilder haben die Ästhetik der modernen kalifornischen Architektur weltweit bekannt gemacht und die ikonischen Werke von Raphael Soriano, Charles Eames, Pierre Koenig und Frank Lloyd Wright festgehalten. Er war ein Pionier bei der Etablierung der Architekturfotografie als anerkannte Kunstform. Neben seinen zahlreichen veröffentlichten Werken sind Shulmans Einfluss und Stil auch in dem Dokumentarfilm Visual Acoustics – The Modernism of Julius Shulman (2008, Regie: Eric Bricker) festgehalten.
2. Ezra Stoller und die Ikonen von New York
Ezra Stoller ist neben Julius Shulman eine der Schlüsselfiguren der amerikanischen Architekturfotografie Mitte des 20. Jahrhunderts und bekannt dafür, dass er die Essenz der modernen Architektur gekonnt einfängt. Der in Chicago geborene und an der New York University in Architektur ausgebildete Stoller ist für seine herausragenden Bilder einiger der ikonischsten Bauwerke von New York City bekannt. Darunter das Guggenheim Museum von Frank Lloyd Wright und das Seagram Building von Ludwig Mies van der Rohe.
Stollers fotografischer Ansatz zeichnet sich durch eine kompositorische Strenge, akribische Detailtreue und eine sorgfältige Berücksichtigung der Perspektive aus – Qualitäten, die er wahrscheinlich durch sein Architekturstudium erlernt hat. Einen tieferen Einblick in sein Oeuvre bietet eine umfassende Untersuchung seines einflussreichen Werks: Ezra Stoller: A Photographic History of Modern American Architecture von Pierluigi Serraino, erschienen bei Phaidon Press Ltd.
3. Gabriele Basilico: Mit offenen Augen über die Stadt
Mit Gabriele Basilico (Mailand, 1944 – 2013), einem meisterhaften Fotografen urbaner Landschaften, der für seine Fähigkeit bekannt ist, die Komplexität von Städten einzufangen, erreichen wir einen neuen Maßstab und eine neue Epoche. Als Weltenbummler und Vertrauter prominenter italienischer Architekten erlangte Basilico erstmals 1982 mit seinem meisterhaften Werk „Mailand. Porträts von Fabriken“ Anerkennung.
In den darauffolgenden Jahrzehnten schuf er umfangreiche Reportagen über Städte und Orte auf der ganzen Welt, darunter Berlin, Rio de Janeiro, Shanghai, Istanbul, Silicon Valley, Rom, die Täler des Trentino und Moskau. Er konzentrierte sich oft auf urbane und industrielle Umgebungen, insbesondere auf die sich entwickelnden Randgebiete der Städte. So schuf er Bilder, die die momentane Spontanität zugunsten einer bewussten, durchdachten Konstruktion mieden.
Basilicos Ausbildung zum Architekten am Politecnico di Milano während der turbulenten 60er und 70er Jahre – einer Zeit, die von Studentenunruhen geprägt war – war wahrscheinlich der Grund für seine intensive Beschäftigung mit städtischen gesellschaftspolitischen Themen. Ein Jahrzehnt nach seinem Tod ehrte die Stadt Mailand sein Vermächtnis mit der Ausstellung „Gabriele Basilico. Le mie città„. Sie wurde sowohl im Palazzo Reale als auch in der Triennale Milano gezeigt und wird von einem umfassenden, bei Electa erschienenen Katalog begleitet.
4. Iwan Baan und der Bruch mit der Tradition
Iwan Baan gilt als eine der wichtigsten Persönlichkeiten der modernen Architekturfotografie. Der aus der Nähe von Amsterdam stammende und an der Königlichen Kunstakademie in Den Haag ausgebildete Fotograf zeigt in seinem Portfolio vor allem moderne und zeitgenössische Architektur aus aller Welt. Zu seinem Kundenkreis gehören angesehene Architekten wie Diller Scofidio + Renfro, Rem Koolhaas, Herzog & de Meuron, SANAA, Zaha Hadid und Toyo Ito.
Baans innovativer Stil stellt die traditionellen Normen des Genres in Frage, die typischerweise architektonische Werke von ihrer Umgebung isolieren. Stattdessen integriert er menschliche Figuren in seine Kompositionen und bettet die Strukturen in die Lebendigkeit des realen Lebens ein, ohne dabei ihren Reiz und ihre atmosphärische Essenz zu verlieren. Seine Kunst erforscht das Zusammenspiel zwischen Architektur und ihrem Umfeld sowie ihre Interaktion mit dem Menschen. Das Fehlen einer formalen Ausbildung im Bereich der Architektur hat vielleicht Baans unverwechselbar künstlerischen und zugänglichen Ansatz begünstigt, der sich durch schnelle und dennoch akribische Aufnahmen auszeichnet, die zutiefst evokative Bilder hervorbringen.
Seine einflussreichen Beiträge sind in dem Buch Iwan Baan: Moments in Architecture festgehalten und wurden 2023 in einer Retrospektive des Vitra Design Museums gewürdigt. Dies unterstreicht die erzählerische Tiefe und emotionale Resonanz seiner Arbeit.
5. Hélène Binet, die schweizerisch-französische Meisterin des Lichts
Hélène Binet bietet eine einzigartige erzählerische Stimme in der Architekturfotografie, die sich durch die ausschließliche Verwendung der analogen Technik auszeichnet. Binet bevorzugt den Film, weil er intime Momente einfängt. Sie ist der Meinung, dass „die Seele der Fotografie ihre Beziehung zum Augenblick ist.“ Eine Haltung, mit der sie sich vom digitalen Zeitalter abhebt und die von Kritikern und Architekten gleichermaßen gelobt wird. Binet arbeitet von London aus und hat ihre Fähigkeiten am Europäischen Institut für Design in Rom verfeinert.
In Anerkennung ihrer Verdienste wurde Binet 2007 zum Ehrenmitglied des Royal Institute of British Architects ernannt. 2015 erhielt sie den Julius Shulman Institute Excellence in Photography Award. In ihrer mehr als drei Jahrzehnte umfassenden Karriere hat sie ein breites Spektrum an architektonischen Werken dokumentiert, von den zeitgenössischen Entwürfen von Daniel Libeskind bis zur historischen Tiefe von Peter Zumthor.
Ein Markenzeichen von Binets Arbeit ist ihre Fähigkeit, das Zusammenspiel von Licht und Architektur einzufangen. Eine Fähigkeit, die in ihren Fotografien von Le Corbusiers Couvent Sainte-Marie de La Tourette und den antiken Steinen der Akropolis von Athen anschaulich dargestellt wird.